Werkstoff-Know-how als Schlüssel für Projekterfolg
 Interview mit Prof. Dr. Martin Bonnet, TH Köln
Werkstoffwissen ist zentral. Aber warum?
Nicht nur über eine Werkstoffklasse hinweg, sondern interdisziplinär: Metalle, Kunststoffe, Glas und Kohlefaser müssen verstanden werden, um wirklich innovative Lösungen zu schaffen.
 
In diesem Interview sprechen Prof. Dr. Martin Bonnet (TH Köln) und Dirk Moses von Technoform über die Bedeutung von Werkstoffwissen für die Produktentwicklung, neue Engineering-Möglichkeiten durch Faserverbundwerkstoffe und ein spezielles thermoplastisches Pultrusionsverfahren, das Technoform einsetzt. Sie erläutern Chancen und Fallstricke bei der Kombination von Fasern und Matrix, die praktischen Gründe für den Einsatz von glasfaserverstärkten Thermoplasten.
Warum sind einige Branchen offener Kunststoff gegenüber?
Dirk Moses: Kunststoffe und Verbundwerkstoffe spielen in vielen Branchen eine wichtige Rolle, von Luftfahrt bis Energietechnik, während andere Bereiche, wie die Bauindustrie, oft konservativer sind. Woran liegt das Ihrer Erfahrung nach?
Prof. Dr. Martin Bonnet: In konservativeren Branchen wird oft erst auf einen Werkstoff zurückgegriffen, wenn viele Jahre Erfahrung vorliegen. Dabei bieten Faserverbundwerkstoffe einzigartige spezifische Steifigkeiten und Festigkeiten. Anwendungen werden erst möglich oder deutlich besser, wenn man über Verbundwerkstoffe nachdenkt.
Dirk Moses: Wenn man Verbundwerkstoffe einsetzen will, gibt es natürlich Vor- und Nachteile. Worauf sollte man achten?
Prof. Dr. Martin Bonnet: Ein Klassiker, der oft übersehen wird, ist die Grenzfläche zwischen Faser und Matrix: die Fasermatrix-Anbindung. Es reicht nicht, Matrix und Faser separat zu verstehen, die Kräfte müssen von der Matrix auf die Faser übertragen werden, damit der Verstärkungseffekt eintritt. Wenn z. B. Glasfasern einfach in Polypropylen eingegeben werden, kann es ohne richtige Anbindung sogar zu schlechteren Eigenschaften kommen. Deshalb sind Oberflächenmodifikationen, Schlichten oder andere Behandlungsverfahren entscheidend.
Wie stellt man eine optimale Anbindung sicher?
Dirk Moses: Wie sollte man aus Ihrer Sicht grundsätzlich vorgehen, um bei solchen Kombinationen eine optimale Anbindung sicherzustellen?
Prof. Dr. Martin Bonnet: Pultrusion mit Polypropylen und Glasfasern ist ungewöhnlich, viele denken bei Pultrusion sofort an duroplastische Systeme wie Epoxid. Bei thermoplastischen Pultrusionsansätzen besteht die Herausforderung darin, die feinen Einzelfasern ausreichend mit Matrixmaterial zu durchtränken. Entscheidend sind also die Wahl der Matrix (Einsatztemperatur, chemische Beständigkeit), die Art der Faser (Glas vs. Carbon vs. Aramid) und die Oberflächenbehandlung der Faser, etwa Beschichtungen (Schlichten) oder physikalische Verfahren wie Corona, um die Polarität und damit die Ankopplung zu verbessern.
Dirk Moses: Technoform setzt bewusst auf Thermoplasten, weil das spätere Umspritzen, Schweißen oder die Verwendung des gleichen Materials im Bauteil Vorteile bringt. Welche zusätzlichen Chancen ergeben sich dadurch?
Mit Thermoplasten kann man Fügeprozesse wie Schweißen oder Umspritzen vereinfachen, da man im selben Material bleibt. Das eröffnet auch Recyclingoptionen: In vielen Fällen kann das Produkt zerkleinert und das Material wiederverwendet werden. Allerdings beeinflussen dabei Korngröße und daraus resultierende Faserlänge die Eigenschaften: längere Fasern erhöhen etwa die Schlagfestigkeit, kürzere können Steifigkeit und Festigkeit beeinflussen. Verschiedene Faserlängen, Durchmesser und Schlichten führen zu einem breiten Eigenschaftsspektrum, ein Bauteil aus Polyamid 6 mit 30% Glasfaseranteil ist nicht immer gleich.
 Gibt es Anwendungsbeispiele?
Prof. Dr. Martin Bonnet: Sie verwenden primär Glasfaser ein und nicht Carbon? Warum? Kohlefaser gilt doch als „Rolls-Royce“, wenn es um Steifigkeit geht.
Dirk Moses: Technoform ist fokussiert auf Glasfaser-Lösungen, um günstig gezielte Versteifungen zu schaffen, statt dickerer Bauteile oder komplexer Rippenstrukturen. Das ermöglicht Leichtbau und Materialeinsparung, insbesondere in Elektrofahrzeugen oder Sportwagen, wo neue Raumkonzepte entstehen.
Prof. Dr. Martin Bonnet: Können Sie konkrete Produktbeispiele nennen?
Es geht darum, eine Schale zu haben, die aus einem Material besteht.
Dirk Moses: Unsere Profile kommen als Einleger oder Verstärkungselemente z.B. in Spritzguss- und Pressteilen zum Einsatz. Ein Beispiel wären Elemente für den vorderen Fahrzeugbereich (Frunk). Ein Frunk ist ein Element, was im Vorderraum in einem Automobil als Wanne verwendet wird. Aus dem Begriff Front Trunk wird Frunk. Die Idee ist, höhere Lastaufnahme bei gleichzeitig dünnen, leichten Schalen zu ermöglichen.
Es geht darum, eine Schale zu haben, die aus einem Material besteht. In diesem Fall geht es um den Werkstoff Polyamid. Der Polyamid Frunk wird somit mit Einlegern aus Polyamid verstärkt.
Prof. Dr. Martin Bonnet: Werkstoffwissen ist zentral, nicht nur über eine Werkstoffklasse hinweg, sondern interdisziplinär: Metalle, Kunststoffe, Glas und Kohlefaser müssen verstanden werden, um wirklich innovative Lösungen zu schaffen. Wer Werkstoffwissen mitbringt, kann neue Entwicklungen gezielt vorantreiben.